In der Integrierten Leitstelle (ILS) am Fernsehturm in Passau gehen Notrufe aus Stadt und Landkreis Passau sowie aus Rottal-Inn und Freyung-Grafenau ein. Die PNP hat sie bei der Arbeit begleitet.
Leise und routiniert sprechen die Disponenten in ihre Headsets. Auf großen schwarzen Ledersesseln sitzend haben die Disponenten auf je fünf Bildschirmen alle laufenden Einsätze im Blick. Auf einer Landkarte sind die aktuellen Aufenthaltsorte der Rettungswagen mit orangefarbenen Kreuzen gekennzeichnet. Eine Tabelle zeigt an, welches Krankenhaus grünes Licht gibt – und damit noch Betten für Patienten frei hat.
"Man darf es nicht beschönigen, es ist anstrengend", sagt ILS-Leiter Sebastian Fehrenbach über die aktuelle Lage. In den vergangenen Wochen haben viele Krankenhäuser immer mal wieder auf "Rot" umstellen müssen. So haben sie signalisiert, dass sie durch die Behandlung von Covid-Patienten aktuell an ihre Belastungsgrenze gekommen sind und – sofern nicht unumgänglich – keine neuen Patienten mehr aufnehmen können.
"Eine Erstversorgung ist aber immer möglich", betont Fehrenbach. Muss jemand so schnell wie möglich behandelt werden, wird er nach wie vor in das nächstgelegene, gegebenenfalls auch auf die Verletzungen des Patienten spezialisierte Krankenhaus gebracht. "Allerdings kann es sein, dass er dann später abverlegt wird."
Gerade leuchten auf der digitalen Anzeige Passau und Rotthalmünster grün, dafür ist Eggenfelden rot, dort sind die Betten knapp. Sind alle in Frage kommenden Häuser überlastet, wird telefonisch "verhandelt". "Bisher wurden immer Lösungen gefunden. Patienten wurden immer versorgt", versichert Fehrenbach. "Aber ja, es braucht mehr Kommunikation als sonst. Und es ist emotionaler. Man spürt schon auch mal, dass die Gesprächspartner durch die Dauerbelastung zermürbt sind." Mit anzusehen, wie der Nachbar Österreich vor ein paar Wochen im Chaos versank, sei ebenso belastend gewesen. Auch da hilft Passau aus, wenn möglich. Ohne einen Transport von Braunau nach Linz wäre vor kurzem ein Patient gestorben.
In der Leitzentrale kümmert sich Joachim Bangerl als Schichtführer gerade vor allem um die kniffligen Fälle, wenn die Betten knapp sind. Ein paar Tische weiter koordiniert eine Kollegin Krankentransporte. "Das müsste heute bis 16 Uhr klappen", spricht sie, den Blick fest auf die Tabellen auf ihren Bildschirmen gerichtet, in ihr Headset.
Dem ILS-Leiter Fehrenbach ist es wichtig, zwei Dinge festzuhalten: Erstens, die Lage ist nicht nur wegen Corona anstrengend. Zur Jahreswende erhöht sich stets die Zahl der Einsätze, wie zum Beispiel durch Unfälle wegen plötzlicher Wintereinbrüche. Und zweitens: "Auch wenn es schlimm ist, es geht uns hier in Deutschland immer noch gut", sagt er, jeder Notfallpatient könne versorgt werden.Im Zeitraum zwischen 1. November und 14. Dezember koordinierte die ILS Passau 3657 Krankentransporte (zum Arzt oder ins Klinikum, Verlegungen zwischen Kliniken nicht mitgerechnet). 970 Transporte hatten darüberhinaus Patienten mit Corona "an Bord".
Außerdem verzeichnete die Leitstelle 2681 Notfalleinsätze für Rettungswagen (RD1). Nicht mit eingerechnet sind die Einsätze mit Corona-Bezug, die beliefen sich auf 293 . Rettungswagen plus Notarzt (RD2) rückten 2100 mal aus. 198 mal waren sie außerdem wegen an Corona erkrankten Patienten im Einsatz. Einsätze wegen an Covid erkrankten Kindern gibt es laut Fehrenbach übrigens sehr selten (vier im besagten Zeitraum).
Auch sei es ganz unterschiedlich, wann ein Corona-Patient den Notruf wählt bzw. einen Transport in ein Krankenhaus braucht. Dies hänge vom subjektiven Krankheitsempfinden ab, von Vorerkrankungen und natürlich vom Krankheitsverlauf, der sich manchmal erstaunlich schnell zum Schlechteren wenden kann. In der Corona-Krise habe, so Fehrenbach, leider auch die Suizidrate zugenommen. Niedriger geworden sei dagegen generell die Hemmschwelle, den Notruf zu wählen. Etwa, wenn die Hotline des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 überlastet ist und Kinder am Wochenende krank sind. Immer häufiger würden auch Personen "in einem gewissen Alter" anrufen, die einsam sind und Hilfe, wenn auch keine medizinische, benötigen.
91.827 Notrufe gingen innerhalb eines Jahres 2020/2021 über "112" in der Leitstelle ein. 15.447 Mal wurde der Notruf missbraucht oder aus Versehen betätigt. 720 Mal lösten automatische Melder aus (E-Call 176, BMA 544). "Oft beginnen die Anrufer auch zu diskutieren", berichtet Fehrenbach von einer gewissen "Erwartungshaltung", die oft noch mit dem Zusatz "Ich bin doch Privatpatient" begründet werde. "Wir orientieren uns aber immer daran, wer gerade am dringendsten Hilfe braucht", stellt der ILS-Leiter klar. Passiert, wie kürzlich in Passau, etwa ein Schulbusunfall mit mehreren Verletzten, kann es angesichts der aktuellen Ressourcen auch mal vorkommen, dass ein Patient, der auf einen Transport wartet, statt vier sechs Stunden warten muss."80 Prozent haben Verständnis, 20 Prozent machen Probleme", gibt Fehrenbach eine Einschätzung ab. "Die Leute sind müde geworden, aber wir versuchen, die Situation bestmöglich zu händeln."
In einem mit einer Glasscheibe abgetrennten Raum nimmt Anna Bräuer die Notrufe direkt entgegen. Sie blickt auf über 30 Jahre Berufserfahrung zurück und sagt: "Noch nie war die Lage so angespannt." Immer wieder müsse sie mit den Anrufern diskutieren. Aber wenn ein Rettungswagen einen Patienten von Bad Birnbach nach Wegscheid ins Krankenhaus fahren muss, nennt sie ein Beispiel, dann dauere es eben, bis er wieder anderweitig zum Einsatz kommen kann.
"Ich möchte meine Mitarbeiter für ihre Leistung loben", sagt ILS-Leiter Fehrenbach. Er betont: "Alle im Gesundheitsbereich, angefangen vom Arzthelfer über die niedergelassenen Ärzte, Rettungsdienste und so weiter, geben 120 Prozent."Die Leitstelle profitiere außerdem gerade davon, dass der Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung stets wohlwollende Entscheidungen für sie getroffen hat, dafür ist Fehrenbach dankbar.
Auch die Zukunft ist schon eingezogen: Mit "Nora" kann die Leitstelle künftig auch per App über einen Notfall benachrichtigt werden. Das Angebot richtet sich besonders an Menschen mit eingeschränkten Sprach- und Hörfähigkeiten. Per Touch am Display – zum Beispiel eines Handys – lassen sich Informationen über Standort und Schmerzen direkt in die ILS übermitteln. Und die schickt nicht nur einen Einsatzwagen vorbei, sondern antwortet sogar – im Chat.
PNP 16.12.2021 - Daniela Stattenberger