Am 11. Februar wird der Europäische Tag des Notrufs gefeiert – ein Tag, der auf die unverzichtbare Rolle der Notrufnummer 112 aufmerksam macht.
In diesem Jahr nimmt auch die PNP-Lokalredaktion für Freyung/Grafenau/Waldkirchen die Gelegenheit wahr, auf die Bedeutung dieser Notrufnummer hinzuweisen. In einem aktuellen Artikel wird die lebensrettende Funktion der 112 beleuchtet.
FRG/Passau. Ob medizinischer Notfall, Verkehrsunfall, Wohnungsbrand oder Hochwasser – ist etwas passiert, wählt man die 112. Schnell erklingt dann am anderen Ende der Leitung eine ruhige Stimme, die versichert, dass Hilfe unterwegs ist. Damit die alarmierten Einsatzkräfte auch wissen, wo genau ihre Unterstützung gebraucht wird, leiten die Mitarbeiter der Integrierten Leitstelle (ILS) Passau Feuerwehr, medizinische Rettungsdienste und sogar Hubschrauber zur richtigen Adresse. Dabei ist das Gebiet, welches die ILS Passau betreut, riesig: die Stadt und der Landkreis Passau sowie die Landkreise Freyung-Grafenau und Rottal-Inn.
Zum heutigen Europäischen Tag des Notrufs hat die PNP mit Leitstellenleiter Sebastian Fehrenbach gesprochen, um einen Beruf zu beleuchten, der Menschen in der Not zur Seite steht.
Mehr Anrufe durch technische Neuerungen
„2024 wurden bei uns insgesamt 96.335 Anrufe über die 112 registriert – das entspricht durchschnittlich 264 Notrufen pro Tag. 14.644 Anrufe entfielen auf den Landkreis FRG, was einem täglichen Durchschnitt von 40 Notrufen entspricht“, erklärt Leitstellenleiter Sebastian Fehrenbach. „Hinzu kommen aber noch viele andere Meldungseingänge wie etwa über die Polizei, automatische Notrufsysteme, den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst oder Verwaltungsanschlüsse.“
Dass die Zahl der getätigten Anrufe so hoch ist, hat laut Fehrenbach auch mit den neuen technischen Möglichkeiten zu tun. „Genau genommen betrug die Gesamtanzahl aller Anrufe, die 2024 bei uns eingingen, sogar 296.227 – davon waren aber etwa 21.000 Fehlanrufe. Das passiert, wenn man beispielsweise aus Versehen eine Taste beim Handy länger drückt, und dieses dann automatisch den Notruf wählt. Wir werden aber auch alarmiert, wenn bei einer Smartwatch die Sturzerkennung ausgelöst wird, obwohl die registrierte Bewegung in Wirklichkeit gar kein Sturz war.“
Ferner erklärt der 45-Jährige, dass E-Call-Systeme in Autos – neuere Modelle wählen bei einem Unfall selbstständig den Notruf – eine nicht unerhebliche Anzahl von Fehlalarmen auslösen. „Entweder ist es ein technischer Fehler oder man kommt selbst aus Versehen auf den Notrufknopf. Wenn das passiert, sollte man unbedingt dem Disponenten antworten und sagen, dass nichts passiert ist. Ertönt nämlich keine Antwort, sind wir fast gezwungen, jemanden zu schicken. Dafür möchte ich wirklich sensibilisieren. Unserer Erfahrung nach ist nämlich nur in einem von zehn Fällen wirklich etwas passiert.“ Gleichzeitig räumt der Leitstellenleiter ein: „Der eine Fall zeigt aber trotzdem, dass der E-Call sinnvoll ist.“
Damit in Notsituationen, in denen ein paar Sekunden über Leben oder Tod entscheiden können, schnell Hilfe geschickt werden kann, braucht es Mitarbeiter – tagsüber sechs, nachts drei und zusätzlich Rufbereitschaft und Innendienst –, die wie eine gut geölte Maschine funktionieren. „Das Team der ILS Passau besteht aus mehreren Funktionsträgern mit klaren Aufgabenbereichen. Schichtführer, Disponenten, die für die Bearbeitung und Weiterleitung von Notrufen sowie die Disposition von Einsatzkräften zuständig sind, und Sachbearbeiter, die die ersten Ansprechpartner für eingehende Notrufe sind. Zusätzlich gibt es Fachabteilungen im Hintergrund, die sich mit technischen und administrativen Aufgaben befassen.“ So beispielsweise die Mitarbeiter in der Einsatzvorbereitung, die unter anderem für die wichtige Aufgabe der Stammdatenpflege verantwortlich sind. „Jedes Teammitglied hat eine klar definierte Rolle, die eine effektive Bearbeitung von Notrufen und Einsätzen gewährleistet“, erklärt Fehrenbach.
Da die Arbeit in der ILS mit enormem Stress und großer Verantwortung verbunden ist, müssen die Mitarbeiter gewisse Eigenschaften mitbringen. „Ein Disponent sollte Belastbarkeit und Entscheidungsfähigkeit in stressigen Situationen beweisen sowie Verantwortungsbewusstsein zeigen. Zusätzlich braucht es die Bereitschaft zur ständigen Fort- und Weiterbildung.“ Wie der Leitstellenleiter ausführt, dürfen Teamfähigkeit, Eigenverantwortung und Flexibilität genauso wenig unterschätzt werden wie hervorragende Kommunikationsfähigkeiten in Deutsch und Englisch – das liege an der Nähe zur A3. „Schließlich braucht es auch gute EDV-Kenntnisse und technisches Verständnis. Die umfangreiche Ausbildung zum Disponenten erfolgt als zweijährige berufliche Weiterbildung“, so Fehrenbach.
Disponenten müssen im Notfall ruhig bleiben
Die richtige Schulung ist wichtig, denn im Ernstfall muss der Disponent „ruhig, konzentriert und zielgerichtet agieren. Der Notrufdialog umfasst folgende Fragen: Wo ist das Ereignis? Wer ruft an? Was ist geschehen? Wie viele Betroffene gibt es?“ Er betont: „Wichtig ist auch, auf Rückfragen zu warten. Zusätzlich kann der Disponent nämlich Anweisungen zur Ersten Hilfe, inklusive Telefonreanimation (TCPR), geben. Das überbrückt die Zeit, bis der Rettungsdienst da ist.“
Obwohl Ortungssysteme wie GPS und AML eine ziemlich genaue Anrufortung ermöglichen, „dürfen wir uns auf die Technik allein nicht verlassen“. Fehrenbach fügt hinzu: „Dem Anrufer und seinen Schilderungen müssen wir vertrauen. Glauben ist nämlich schlecht in unserem Metier. Man muss vom Schlimmsten ausgehen. Wenn jemand sagt, dass ein Wohnhaus brennt, dann wird es schon brennen. Bei Unklarheiten ist nämlich immer die Basis, dass es um Menschenleben geht.“
Gleichzeitig warnt er: „Der Missbrauch des Notrufs wird von uns konsequent angezeigt und mit bis zu 5000 Euro Bußgeld geahndet. Es ist extrem verwerflich, weil Hilfe woanders wirklich benötigt wird.“
Die Aufgabe der Disponenten ist es jedoch nicht nur, den Notruf entgegenzunehmen und „im Schockmoment Ordnung reinzubringen“, sondern auch zu entscheiden, welches Rettungsmittel geschickt werden soll. „Die Entscheidung zur Auswahl der Einsatzkräfte basiert auf einem strukturierten Entscheidungsprozess.“ In diesen fließen die Informationen des Anrufers sowie geltende Vorschriften wie das Bayerische Rettungsdienstgesetz ein. „Die Mitarbeiter stehen hier unter enormem Druck und müssen eine hohe Verantwortung tragen. Grundsätzlich werden Entscheidungen über das richtige Rettungsmittel durch eine Mischung aus Erfahrung, Bauchgefühl und rechtlichen Vorschriften getroffen“, weiß Fehrenbach.
Ein solches Einsatzmittel, das die ILS Passau losschicken kann, ist der Hubschrauber. „Letztes Jahr wurden insgesamt 650 Einsätze mit Rettungshubschraubern durchgeführt. Davon entfielen 104 Einsätze auf den Landkreis Freyung-Grafenau.“ Wie der Leitstellenleiter erklärt, kann ein Rettungshubschrauber aus vielfältigen Gründen losgeschickt werden: als Notarztzubringer, bei Großschadenslagen mit mehreren Notfallpatienten, für einen schnellen und schonenden Transport in eine geeignete Klinik, für Verlegungsflüge in Spezialkliniken, für Sucheinsätze und für Windenrettungen in unwegsamem Gelände wie Wäldern oder Bergen – „vor allem in FRG ist das ein Thema“. Für Einsätze im Rettungsdienstbereich Passau stünden laut Fehrenbach tagsüber vier Hubschrauber, nachts für Intensivtransporte zwei bereit. „Tagsüber teilen wir uns einen, den RTH Suben (Europa3), zu 50 Prozent mit Österreich. Hier gibt es keine Grenze – unbürokratische Nachbarschaftshilfe ist das.“
Doch bei aller Expertise gab es, blickt der Leitstellenleiter zurück, auch Ereignisse, die die ILS Passau an und über ihre Belastungsgrenze brachten. „Wir haben 72 Leitungen, alle Notrufüberschüsse übernimmt die ILS in Traunstein. Es geht also kein Notruf verloren. Aber die Flutwelle in Simbach 2016 war ganz schlimm. Wir bekamen tausende Anrufe. Da kamen nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Technik an ihre Grenzen. Und Traunstein konnte da auch nicht mehr helfen“, so Fehrenbach. „Ein weiteres Großereignis war die Lkw-Todesfahrt in Passau Ende 2023. Da gingen in kurzer Zeit Hunderte Notrufe ein.“
Hochwasser in Simbach brachte ILS an die Grenzen
Da solche Katastrophen auch die geschulten ILS-Mitarbeiter nachhaltig beschäftigen können, ist es Fehrenbach als Leitstellenleiter wichtig, dass es einen guten Austausch im Team gibt. „Bei großen Einsätzen ist es als Vorgesetzter wichtig, eine Nachbesprechung anzusetzen und gegebenenfalls dem Team konstruktives Feedback zu geben. Es ist aber auch möglich, für Mitarbeiter einen Gesprächspartner zu vermitteln, mit dem sie über ein Ereignis reden können.“
Durch die Häufung gewisser Naturereignisse, in Passau etwa das Hochwasser und in FRG in den Sommermonaten die Waldbrandgefahr, gebe es laut Fehrenbach in der ILS Passau inzwischen klare Standards für solche Situationen. Doch gibt es grundsätzlich gewisse Tage, an denen mehr Notrufe verzeichnet werden? „Das kann man schlecht sagen. Es hängt von Umständen wie dem Wetter, Festen wie der Dult oder Feiertagen wie Weihnachten ab. Dementsprechend planen wir.“ Schmunzelnd fügt Fehrenbach hinzu: „Ich weiß nicht warum, aber wenn Vollmond ist, rufen mehr Leute die 112 an.“
Neben der Notrufbearbeitung und etwaigen Einsatzsteuerungen nimmt die ILS Passau aber immer öfter auch Anrufe von Menschen in nicht lebensbedrohlichen Notlagen entgegen – mit einem traurigen Hintergrund. „Das ist vor allem der sozialen Einsamkeit, insbesondere bei älteren Personen, geschuldet. Oftmals kennen sie niemanden, der ihnen etwa bei einem Problem im Haushalt helfen kann. Dann rufen sie in der Verzweiflung uns an.“
Aufgrund der vielfältigen Aufgabenbereiche und zunehmenden Zahl der Anrufe werde laut dem Leitstellenleiter die ILS Passau wachsen. „Das ist gut für die Region. Dabei ist gutes Personal – das wir ja haben und ich ausdrücklich loben möchte – das beste Kapital. Die Bevölkerung kann sich zurücklehnen. Wir haben eine gut durchdachte ILS. Wir wachen, dass nichts passiert“, schließt Fehrenbach das Gespräch mit der Heimatzeitung.
Celina Ford / PNP Lokalredaktion für Freyung/Grafenau/Waldkirchen (11.02.2025)